Designklassiker im Museum

Massenprodukt oder ein künstlerischer Entwurf? Walter Gropius soll mit Marcel Breuer darüber gestritten haben, wie dessen Stahlhocker «B 9» einzuordnen ist. Heute ist der Hocker jedenfalls Kult und steht als Sonderedition im Bauhaus Museum Dessau. Der Künstler Jay Gard hat in Zusammenarbeit mit der Thonet GmbH 100 Hocker in 30 Farbnuancen kreiert, auf denen die Besucher Platz nehmen dürfen.

Gebrauchsgegenstand oder Kunst? Beides, sagt die Stiftung Bauhaus Dessau und beauftragte den Künstler Jay Gard, der aus dem Hocker «B 9» eine Sonderediton entworfen hat, die im Raum veränderbar ist.
Gebrauchsgegenstand oder Kunst? Beides, sagt die Stiftung Bauhaus Dessau und beauftragte den Künstler Jay Gard, der aus dem Hocker «B 9» eine Sonderediton entworfen hat, die im Raum veränderbar ist.
Besucher arrangieren im Museum die Hocker immer wieder neu.
Besucher arrangieren im Museum die Hocker immer wieder neu.
Die Kollektionen «Margaretha» ist inspiriert vom Farbspektrum eines handgewebten Kinderteppichs von Margaretha Reichardt.
Die Kollektionen «Margaretha» ist inspiriert vom Farbspektrum eines handgewebten Kinderteppichs von Margaretha Reichardt.
Der Künstler Jay Gard verliess sein gewohntes Berliner Umfeld und konzentrierte sich in Dessau auf das Formen- und Farbenspiel des Bauhauses.
Der Künstler Jay Gard verliess sein gewohntes Berliner Umfeld und konzentrierte sich in Dessau auf das Formen- und Farbenspiel des Bauhauses.

Der an sich unspektakuläre Hocker «B 9» aus dem Jahr 1926 von Marcel Breuer gilt als perfektes Symbol für Industriedesign im Bauhaus-Stil. Der Designer soll sich am geschwungenen Lenker seines Fahrrads orientiert haben. Das Material dazu, Duraluminium-Rohre, lieferten zunächst die Junckers-Flugzeugwerke in Dessau, später entschied sich Breuer für Stahl. Walter Gropius und Breuer selbst stritten seinerzeit um die Frage, inwieweit es sich bei dem Hocker um ein Massenprodukt oder um einen künstlerischen Entwurf handelt. Für die Stiftung Bauhaus Dessau ist klar: Dieser Hocker gehört ins Museum – auch als Gebrauchsgegenstand. Und welcher Ort wäre wohl passender als das neue Museum der Stiftung Bauhaus Dessau. Das Museum wurde anlässlich des 100-jährigen Bauhausjubiläums im Jahr 2019 eröffnet. Neben der umfangreichen Sammlung von Original-Objekten aus dem Kontext der berühmten Kunstschule werden dort auch zeitgenössische Arbeiten gezeigt. Darunter nun die von Jay Gard für das Bauhaus Museum Dessau und die Thonet GmbH gefertigte Edition von Marcel Breuers Stahlrohrhocker «B 9».

Als die Stiftung Bauhaus Dessau den Künstler Jay Gard fragte, ob er einen Besucherhocker für das neue Museum gestalten möchte, zögerte er nicht lange. Denn auch die Geschichte hinter Marcel Breuers Entwurf, faszinierte ihn. Im Rahmen seiner Teilnahme an der Bauhaus Jubiläums-Residenz im Sommer 2019 setze sich Jay Gard (geb. 1984 in Halle/Saale) intensiv mit den zur Bauhauszeit entwickelten Möbeln auseinander und beantwortet die Streitfrage für sich selbst. «Der B 9 mit seiner genialen Formgebung und dem perfekten Zusammenspiel von gebogenem Metall und der rechteckigen Holzplatte ist für mich viel mehr als ein Möbel, es handelt sich um ein beeindruckendes Kunstwerk», so Jay Gard.

Als Ausgangspunkt für sein neues Werk wählte Jay Gard einen handgewebten Kinderteppich von Margaretha Reichardt, genannt Grete, einer erfolgreichen Gestalterin aus der Textilwerkstatt des Bauhauses. «Sowohl die Materialität und Farben des gewebten Textils, das ebenfalls Teil der Ausstellung ist, als auch die Tatsache, dass es sich um ein Kunstwerk mit Gebrauchswert handelt, fand ich absolut spannend», erklärt Gard die Wahl seines Bezugsobjekts. Er splittete den Teppich in seine einzelnen Farben auf, durch Schattenspiel und Reflektionen kamen weitere Farbtöne hinzu. So ergaben sich zirka 30 Nuancen, die der Künstler auf den 100 Platten der Besucherhocker frei kombinierte. Die Sitzfläche gestaltete er dabei jeweils monochrom, an den Seiten und unten drunter liess er jeweils mehrere Farben fächerartig zusammenspielen, so dass jeder Hocker ein Unikat ist.

Die Kollektionen «Margaretha» und «Margaretha 2» als Zusammenspiel von Breuers Design, Reichardts Farben und Gards Interpretation ergeben eine neue künstlerische Arbeit, in welcher die alte Kontroverse um individuelle Autorenschaft ein Echo findet. Die Stiftung Bauhaus Dessau hat mit der Sonderedition den Umgang mit der Streitfrage auf ihre eigene Weise gelöst. Das Möbel, welches ursprünglich Teil von Breuers vierteiligem Satztischset (B 9 a-d) ist, hat genau die richtigen Masse für einen flexibel einsetzbaren Hocker, der von den BesucherInnen des Museumsgenau da platziert werden kann, wo sie gerne entspannt sitzen und die umliegenden Exponate betrachten möchten. «Jeden Tag entstehen neue Anordnungen der Hocker. Durch diese spielerische Aktion spüren die BesucherInnen sehr konkret, wie Farben miteinander wirken. Ich bin sicher, dass ein solch körperliches Erlebnis von Farben, eine Menge Kreativität freisetzt», schwärmt der Künstler, der sich seit vielen Jahren mit Farbharmonien und -zusammenhängen auseinandersetzt. Mit den Kollektionen «Margaretha 2» und «Margaretha 3» konnte Jay Gard seine intensive, jahrelange Auseinandersetzung mit dem Thema Farben noch auf weitere Art einbringen: Die aus Reichardts Teppich gewonnenen Farben trug er auf dünnes Schichtholz auf, welches er mit einem Lasercutter in kleine Streifen schnitt. Diese puzzelte er wiederum zur einen Hälfte kreisförmig, zur anderen in S-Form auf den Oberflächen von weiteren 30 Hocken zusammen. So ergaben sich zwei limitierte, aus Unikaten bestehende Kunsteditionen, welche in den Museumsshops von Jörg Klambt in Berlin, Potsdam und Dessau für jeweils 1.200 Euro zum Verkauf stehen.

Text: PD, EL

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