Samstagabend, bei Mondlicht

Da gestaltet eine junge Designerin eine Leuchte, die vor allem ihr selbst gefällt. Mit der ihr Sohn gerne spielt und die auch jemand, der mit Licht sonst nicht viel zu tun hat, direkt versteht. Kann so eine Leuchte ein echter Designklassiker werden?

Moonsetter ist die erste Leuchte, die die dänische Architektin Anne Boysen je entwickelt hat. Ihr gelang damit etwas, das sehr simples und sehr spielerisch zugleich ist.
Moonsetter ist die erste Leuchte, die die dänische Architektin Anne Boysen je entwickelt hat. Ihr gelang damit etwas, das sehr simples und sehr spielerisch zugleich ist.

Einen Volltreffer landen, indem man einen Klassiker entwickelt – wohl ein heimlicher Wunsch von so mancher Designerin, so manchem Designer. Dass man genau diese Aufgabe, einen Klassiker zu entwerfen, ganz direkt gestellt bekommt, passiert hingegen selten. Und ob man es mit einem bestimmten Entwurf tatsächlich geschafft hat, das muss die Kritik bewerten und die Zeit zeigen.

In Dänemark, dem Land, wo Innovation und Tradition gut zusammenpassen, läuft es seit rund zwei Jahren anders. In der Fernsehshow «Denmarks naeste klassiker» beobachtet das TV-Publikum junge DesignerInnen dabei, wie sie über mehrere Wochen verschiedene Einrichtungsstücke gestalten, die allesamt den Anspruch haben, ein Klassiker zu werden. Die erste Staffel der Show gewann die Architektin Anne Boysen, und zwar für sie selbst gänzlich unerwartet mit einer Leuchte. Denn vor allem bei der Licht-Challenge sah sie für sich nicht den Hauch einer Chance: «Ich hatte noch nie eine Leuchte gestaltet und ausserdem konnte ich die beiden Aufgaben vorher schon für mich entscheiden. Dann darf man eigentlich nicht mit einem weiteren Teil-Sieg rechnen.»

Die Aufgabe lautete, eine Bodenleuchte zu gestalten, die einen Raum im Raum schafft. Als diplomierte Architektin, Interior Designerin und Künstlerin kennt sich Anne Boysen mit Raum, mit Atmosphäre und Licht bestens aus. Dass es ohne Licht keinen Raum geben kann, war für sie klar. Und dass die Intensität und die Richtung von Licht den Raum verändert ebenfalls. Und trotzdem rechnete sie sich keinerlei Chancen aus. «Also sagte ich mir, wenn ich schon nicht gewinnen werde, dann entwickle ich einfach eine Leuchte, die ich selbst gern hätte.» Die grosse Herausforderung dabei: Sie hatte nur einen Freitag, einen Samstag und einen Sonntag Zeit, daran zu arbeiten. «Deshalb hab ich meine Familie in unser Sommerhaus aufs Land geschickt und mich in meinem Büro eingeschlossen». Der Freitag verging ohne greifbares Ergebnis. Der Samstag ebenfalls. Am späten Samstagabend schliesslich, als die Zeit immer knapper wurde, fiel das Mondlicht durch einen Schlitz im Vorhang und auf eine verspiegelte Fläche am Modell eines Sofas, das sie vor einiger Zeit gestaltet hatte. Anne Boysen sah die Reflektion und ihr ging, im Wortsinne, ein Licht auf. Sie holte verschiedene Materialien aus dem Papierkorb und hielt sie in den Lichtstrahl. «Plötzlich fiel mir auf, wie das Material das Licht und damit die Atmosphäre im Raum verändert.» Dann kam noch ein Lichtspalt in der leicht geöffneten Tür dazu – und die Idee zu «Moonsetter» nahm Gestalt an. «Ich finde das Konzept nach wie vor so einleuchtend wie simpel. Komisch, dass das vor mir noch niemand gemacht hat.»

Was ihr ausserdem sofort gefiel: Als sie ihr kleines Pappmodell zum Schmied brachte, um ein handfeste Version aus Metall herstellen zu lassen, hatten einige Arbeiter direkt Freude daran, mit der aufgehängten Scheibe zu spielen. «Es ist kinderleicht zu bedienen und jeder versteht es.» Auch ihr damals dreijähriger Sohn habe direkt verinnerlicht, wie das Ding funktioniert und war davon fasziniert. Das ist nicht verwunderlich, denn die Formen kennt wirklich jedes Kind. Anne Boysen kombinierte für ihren Entwurf Kreis, Quadrat und Zylinder. Zusammen wirken sie harmonisch; bei ausgeschaltetem Licht verrät eigentlich nur das Kabel, dass man es nicht mit einer Skulptur zu tun hat. Jedes der drei Teile erfüllt eine eigene Funktion: Das Quadrat, genauer der kreisrunde Ausschnitt darin, beherbergt die LEDs der Leuchte. Der Zylinder dient als Schalter mit Dimmer. Der Kreis lässt sich 360 Grad um die eigene vertikale Achse drehen und sorgt zusammen mit dem Dimmer dafür, dass «Moonsetter» viele verschiedene Lichtstimmungen schaffen kann. Eine Seite der Scheibe ist weiss; steht sie im Licht, reflektiert sie es weich und eher diffus. Dreht man dagegen die reflektierende Seite der Scheibe ins Licht, strahlt die Leuchte wesentlich intensiver und gerichteter in den Raum.

«Ich wollte ein Objekt mit einer schlichten Formensprache schaffen, das bei ausgeschaltetem Licht wie eine Skulptur wirkt. Und da ich eine Vorliebe für grafische Formen habe – weil sie so elementar sind, dass jeder sie versteht, und weil wir sie auch in 50 Jahren noch benutzen werden – fügte sich alles irgendwann wie von selbst», sagt Anne Boysen. Damit setzt die Leuchte «Moonsetter» Anne Boysens Prinzip um – das Komplexe einfach und intuitiv darzustellen. Was ihr damit gelungen ist: Einen neuen Klassiker zu schaffen. Und zwar Samstagabend bei Mondlicht.

LOUIS POULSEN

Anne Boysen brachte für ihr Design all ihre Kenntnisse zu Raum und Licht zusammen – und zu den Stimmungen, die aus einer guten Kombination der beiden entstehen können. Damit holte sie  die Siegertrophäe in der TV-Show «Dänemarks nächster Klassiker». Foto: Andreas Mikkelsen.
Anne Boysen brachte für ihr Design all ihre Kenntnisse zu Raum und Licht zusammen – und zu den Stimmungen, die aus einer guten Kombination der beiden entstehen können. Damit holte sie die Siegertrophäe in der TV-Show «Dänemarks nächster Klassiker». Foto: Andreas Mikkelsen.
Die Formen, aus denen sich der Entwurf zusammensetzt, sind echte Klassiker: Zylinder, Kreis und Quadrat ergeben zusammen ein spannendes Ganzes, in dem jedes Element eine eigene Funktion erfüllt.
Die Formen, aus denen sich der Entwurf zusammensetzt, sind echte Klassiker: Zylinder, Kreis und Quadrat ergeben zusammen ein spannendes Ganzes, in dem jedes Element eine eigene Funktion erfüllt.

Text: Barbara Hallmann, Fotos: Louis Poulsen
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 10•11/22

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