Vintage-Experte: Möbel mit zwei Leben

Philippe Ernst, Vintage-Experte

«Nachhaltigkeit und Umweltschutz liegen mir am Herzen.»

In unserem Lager befinden sich rund tausend gebrauchte Möbelstücke, darunter viele Stühle und Tische, aber auch Lampen, Sideboards und Sofas. Der Platz ist immer ein Problem, denn praktisch wöchentlich kommen neue Einzelstücke hinzu. Die Einbauten in unserem Lager, in dem es ziemlich dunkel und kühl ist, haben wir selber konstruiert. Im hinteren Teil, wo wir vor allem Stühle aufbewahren, gibt es nun eine begehbare Galerie, die uns einen besseren Überblick verschafft. Wir sind ständig am Hin- und Herräumen zwischen unserem Lager und dem «Möbel Zürich»-Verkaufsgeschäft, das sich ganz in der Nähe befindet. Mittlerweile erhalten wir über die Webseite viele spontane Anfragen, auch von Privatpersonen, die uns Objekte zum Kauf anbieten. Ich pflege ausserdem jahrelange, persönliche Kontakte zu HändlerInnen, die sich auf Räumungen von Häusern und Wohnungen in der ganzen Schweiz spezialisiert haben. Diese halten mich stets auf dem Laufenden, wenn ein besonderes Möbelstück in ihren Besitz gekommen ist, das für mich interessant sein könnte.

Mein Fokus liegt nicht nur auf Designklassikern, sondern auf allen Möbeln, die sich mit sinnvollem Aufwand reinigen, reparieren und auffrischen lassen, statt dass sie auf der Müllhalde landen. Nachhaltigkeit und Umweltschutz liegen mir am Herzen, das war schon immer so, aber ich kann als ehemaliger KV-Absolvent auch rechnen. Mein Ziel und das Ziel meines Teams ist es, möglichst viel Mehrwert und Nachhaltigkeit zu schaffen. Unser Schreiner legt in der Werkstatt Hand an und ermöglicht den Möbeln ein zweites Leben. Bei allem, was wir tun, spielt der ökologische Aspekt eine Rolle: Meine MitarbeiterInnen wissen, dass ich nicht will, dass sie mit dem leeren Auto irgendwohin fahren. Wir schonen die Ressourcen und kaufen auch keine Gebrauchtmöbel im Ausland ein.

Vintage-Möbel sind zurzeit ein Hype, doch ich interessierte mich schon dafür, bevor Secondhand zum Modetrend wurde. Meine Strategie ist, einer breiten Kundschaft Gebrauchtmöbel anzubieten. Zu unserem Angebot zählen gepflegte Klassiker, günstige Möbel für StudentInnen sowie Designmöbel aus dem High-End-Segment. Ich sehe mich in erster Linie als Vermittler, der einen gesellschaftlichen Wandel anstösst. Ich hoffe, dass immer mehr Leute in Gebrauchtes investieren, anstatt neue Möbel zu kaufen, die in fernöstlichen Fabriken unter schlechten Bedingungen produziert wurden. Mir war es schon immer wichtig, dass Dinge richtig entsorgt oder wiederverwertet werden. An Partys im Freundeskreis war ich früher nicht der, der eine Flasche Wein mitbringt, sondern der, der am Ende je einen Sack mit PET- und Glasflaschen wegträgt. Ich bekam dann bald einmal Anfragen, ob ich auch helfen würde, Elektroschrott oder Möbel zu entsorgen, weil die Leute nicht wussten, wie und wo man das am besten macht. So kam es, dass ich nebenbei selber Räumungen und Umzüge organisierte. Vor vielen Jahren begann ich, an verschiedenen Orten Gebrauchtmöbel zu horten, die man mir überlassen hatte. Ich lagerte sie im Estrich bei den Eltern, in Kellern von Kollegen oder lieh sie jemandem aus.

Jeweils samstags öffnen wir das «Möbel Zürich»-Lager für Kundschaft, die auf unserer Webseite ein Möbelstück entdeckt hat, das nicht im Laden ausgestellt ist, und es in echt anschauen möchte. Die Lagerorganisation ist eine grosse Herausforderung: Es gibt Ladenhüter, die sich über längere Zeit einfach nicht verkaufen. Man fragt sich ständig, wie lange man Geduld haben und ein Objekt behalten soll, obwohl man den Platz gut für Neues brauchen könnte. Wir reduzieren dann den Preis, und wenn etwas gar nicht weggeht, bringen wir es ins Brockenhaus. Weggeworfen wird bei uns sehr, sehr wenig. Wenn, dann sind es Holzabfälle aus der Schreinerei, die verfault oder verwurmt sind.


Text: Rebekka Haefeli
Foto: © Gaëtan Bally
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 9•10/22

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