In diesem Hotel gibt es keine kurzlebigen Trends, denn das Weisse Kreuz in Burgeis verbindet Tradition und Moderne auf ganz wunderbare Weise. Nicht nur in den charmanten Zimmern und Suiten, sondern auch auf dem Teller.
Am Nachbartisch brummt ein Herr mit gezwirbeltem Schnauzbart genüsslich, bevor er sich ein zweites Mal Richtung Dessertbuffet aufmacht. Uns bleibt nichts anderes übrig, als es ihm gleich zu tun. Es ist einfach unmöglich, sich den kleinen Köstlichkeiten zu verweigern. Sie sind «Fluch und Segen zugleich», wie meine Begleitung so treffend formuliert, «Widerstand ist zwecklos.» Wir beschränken uns auf einen gemeinsamen (zweiten) Teller – Glück soll man schliesslich teilen – nachdem jeder einen eigenen, doppelten Espresso braucht, bevor wir selig ins Bett fallen.
Wenn Ihnen jetzt das Wasser im Mund zusammenläuft, dann sollten Sie ein Wochenende im Hotel Weisses Kreuz planen. Immer samstags tischt Küchenchef Marc Bernhart seinen Gästen ein solches Dessertbuffet mit hausgemachten Süssigkeiten und Pralinen auf. Die gute Nachricht für alle, die es lieber herzhaft mögen: Das Buffet folgt auf ein Abendessen, das Sie so schnell nicht vergessen werden. Wobei herzhaft wohl der falsche Ausdruck ist. Denn Marc Bernhart kocht nicht das, was man sich unter traditioneller Südtiroler Küche vorstellt. Was er mit seinem Team auf den Teller zaubert, ist einfach wunderbar. Hier trifft Bodenständigkeit auf Experimentierfreude und so ist jedes Gericht ein kleines Kunstwerk. Man kann gar nicht anders, als einfach nur zu hoffen, dass dem Gang, der da so verführerisch vor einem steht, noch ein weiterer folgen möge.
Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, den Aufenthalt im Weissen Kreuz einfach um ein paar Tage zu verlängern. Betrieben wird es von der Familie Theiner, die ihre Gäste nun schon seit 1871 im Obervinschgau bewirtet. Doch es könnte schwer werden, sich für eins oder eine der 46 Zimmer und Suiten zu entscheiden: Das Hotel besteht nämlich aus drei sehr unterschiedlichen Gebäuden, in denen wiederum kaum ein Zimmer dem anderen gleicht. Da wäre zum einen der Gasthof am Dorfplatz, der bereits als Reisehospiz genutzt wurde, als er in den Besitz der Familie Theiner überging. Er ist nicht das älteste Gebäude des Ensembles, aber das Stammhaus, mit dem alles begann. Hier gibt es individuell gestaltete Lofts, aber auch stilvolle Doppelzimmer. Viel Holz und geradliniges Design geben den Ton an, mal sehr modernen, mal etwas uriger mit mächtigen Holzbalken und Täfer.
Der 800 Jahre alte Ansitz zum Löwen auf der anderen Strassenseite ging in den 1970er-Jahren in den Familienbesitz über. Die damalige Chefin Maria Theiner wusste nicht, was für einen Schatz sie da sprichwörtlich vor ihrer Nase hatte. Bis ein Experte ihr bescheinigte, eines der ältesten und schönsten Häuser der Region gekauft zu haben. An den Umbau wagte sich 2013 erst die Nachfolgegeneration, welche die Architekten Stephan Marx und Elke Ladurner beauftragte, die historische Bausubstanz ins Hier und Jetzt zu transferieren. Das Ergebnis ist ein Paradebeispiel, in dem durchweg aussergewöhnliche Suiten auf ihre Gäste warten.
Ergänzt wurde der Gebäudekomplex 2013 noch durch einen Neubau, für dessen Architektur ebenfalls das Büro Marx Laduner verantwortlich zeichnet. Dieser bietet acht stilvolle, grosszügige Suiten, deren bodentiefe Fenster einen Blick in die herrliche Bergwelt erlauben, der seinesgleichen sucht; Fürstenburg und Kloster Marienberg inklusive.
Dorfbewohner auf Zeit
So unterschiedlich Gebäude und Zimmer
daherkommen, eines haben alle gemein: Die Lage mitten im malerischen
Dörfchen Burgeis. Manche schauen auf den historischen Dorfplatz, in eine
kleine Gasse oder in Nachbars Garten. Wer bei offenem Fenster schläft,
könnte morgens vom Krähen eines Hahns geweckt werden. Oder vom Knattern
eines Traktors. Die Geschäftigkeit einer viel besuchten Touristenregion
sucht man hier vergebens. Burgusio, wie die Gemeinde auf italienisch
heisst, überzeugt vielmehr mit hübschen Bauernhäusern, die etwas
verschlafen am Berghang der Malser Heide liegen und hoffentlich auch
nicht so schnell geweckt werden.
Wie naturnah die Region noch ist,
erfahren wir auf unserer Wanderung zur Planeiler Alm: Trotz der
wunderbaren Wege begegnen wir an diesem sonnigen Tag im Juni mehr Kühen
als Wanderern. Wohin man noch so überall hin wandern könnte, erfahren
wir an der Rezeption. Die Chefin Mara Theiner und ihre Mutter Marlene
empfehlen die schönsten Gipfel der Region, bei deren Besteigung man
sich auch Wanderführer Edy anschliessen könne. Er sei ein echtes
Burgeiser Urgestein, kenne jeden Stein, jede Blume und natürlich auch
jeden Hüttenwirt.
Doch das muss leider warten, bis wir das nächste
Mal ins Weisse Kreuz kommen, denn auf einen Tag im Spa mit seinen beiden
Pools und der Zirbenholzsauna wollen wir auf keinen Fall verzichten.
Also schwitzen wir auf Holzbänken, entspannen outdoor in üppigen
Sitzkissen und brummen genüsslich dem entgegen, was Küchenchef Marc
Bernhart uns am Abend offerieren wird: Auf der Karte stehen frisch
gebackenes Malzbrot, mit Ricotta gefüllte Ravioli, confierter Tafelspitz
und Sauerampfersorbet.
Hotel Weisses Kreuz
Zustätzliche Ferien-Tipps von Mara Theiner & Marc Bernhart gibt es im Magain RAUM UND WOHNEN. Die Ausgabe 08•09/21 lässt sich online bestellen.
Text: Kirsten Höttermann, Fotos: Daniel Zangerl
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 08•09/2021