Der Schweizer Designer Alfredo Häberli entwickelte für die LivingKitchen 2019 in Köln die Future Kitchen «Sense & Sensuality». Als zentraler Raum eines ganzheitlichen Wohnensembles dient sie laut Häberli auch in Zukunft als wichtiges Bindeglied für das soziale Leben. Im Interview erläutert der in Argentinien geborene Stardesigner, warum die Küche so wichtig für unsere Wohnkultur ist. Er verrät ausserdem, welche Faktoren künftige Küchenkonzepte berücksichtigen müssen.
Herr Häberli, Sie haben anscheinend eine besondere Beziehung zur Küche – zur Küche als Produkt wie als Lebensraum – und haben nun für die LivingKitchen ein ganzheitliches Raumensemble mit Zukunftscharakter entworfen, mit der Küche im Zentrum. War das für Sie quasi ein Heimspiel?
Für mich ist die Anfrage der LivingKitchen natürlich eine Ehre; gleichzeitig versetzt mich diese Anfrage zurück in die Kindheit, weil ich in Restaurant und Hotel aufgewachsen bin – ich habe mehr Zeit in der Küche verbracht als im Wohnzimmer. Für mich ist diese Situation, bei der ich quasi aus der Vergangenheit in die Zukunft schaue, enorm spannend.
Stellte es nicht eine grosse Herausforderung dar, etwas gestalterisch vorwegzunehmen, was gesellschaftlich noch nicht gelebt wird und technisch vielleicht noch gar nicht machbar ist?
Die Zukunftsküche habe ich bewusst auf eine gewisse Abstraktionsebene gebracht, weil die Zeit, in der wir leben, unglaublich schnell vorangeht. Diese Küche thematisiert die nahe Zukunft.
Was ist in Zukunft in der Küche wirklich wichtig?
Für mich hat die Küche als Seele des Hauses, eigentlich als Feuerstelle, um die man drumherum sitzt, eine extrem wichtige soziale Komponente. Zum anderen ist aber auch die Idee des Degrowth, also von der Reduzierung des Wachstums und der Zurück-Beschränkung auf Wichtiges, ein ganz zentrales Thema. Erste ansatzweise Auswirkungen sehen wir derzeit in verschiedenen Bereichen der Autoindustrie und der Mobilität insbesondere in Verbindung mit der Sharing-Idee: Teilen – etwa das Teilen von Space, Aktionen, Mobilität – wird sehr wichtig werden. Und ich glaube, das wird auch die Küche tangieren.
Also eine Abkehr von der in manchen Bereichen des Designs verbreiteten Selbstbezogenheit … Wird das eher zu einer Abwertung oder Umbewertung des Designs und seiner Funktion führen?
Design wird meiner Überzeugung nach immer eine wichtige Rolle haben. Ich denke aber auch, dass wir heute nicht mehr über Design reden müssen, weil es Teil von einem Prozess ist. Dabei ist gar nicht mal so sehr das Ästhetische der entscheidende Punkt, also das Verschönern – Design ist vielmehr eine Haltung, und die wird wichtiger und auch stärker.
Wie weit geht diese Entwicklung?
Ich glaube, wir werden unser Leben neu designen müssen. Ich sehe schon bei meinen Kindern, mit welcher Kraft diese Entwicklung vorangeht, und da meine ich nicht so sehr die ästhetischen Aspekte. Es geht um Charakterfragen. Gestaltung wird immer mehr zu einer Frage der Haltung, die man einnimmt.
Welche Möglichkeiten eröffnen sich für die Gestaltung der Küche?
Ich der Küche ging es designtechnisch in den letzten Jahren ja hauptsächlich um die Ästhetik des Ganzen, ums Verstauen und um die Integration von Geräten. Das sind sehr komplexe Anforderungen – ähnlich wie im Bad –, wodurch sich aktuelle Entwicklungen gegen einen relativ festen formalen Kanon durchsetzen müssen und weniger dynamisch verlaufen. Doch hier gibt es jetzt eine grosse Offenheit für Veränderungen, auch aufgrund neuer Technologien. Auf einmal kann der Designer ganz neue Vorschläge machen.
Welche Herausforderungen stellen sich dem Design bei der Aufgabe, die Küche räumlich und funktional den heutigen und künftigen Bedürfnissen anzupassen?
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Küche stark verändert. Sie hat sich geöffnet zu allen Wohnräumen und Raumsituationen – auch wieder ähnlich wie beim Bad. Wir sehen auch Tendenzen, die Küche als Schutzzone zu begreifen, in der man sich vor allem wohlfühlen können soll, beim Kochen, beim Anrichten, beim Essen. Gleichzeitig haben wir die Küche unter der Woche und die Küche am Wochenende – und die übernehmen ganz verschiedene Funktionen! Am Wochenende hat man mehr Zeit, man agiert bewusster beim Anrichten und beim Essen im sozialen Umfeld, mit der Familie und mit Freunden. Unter der Woche geht man damit ganz anders um. Zudem wird die Küche das Spannungsmoment vom Analogen zum Digitalen künftig noch viel stärker aufnehmen.
Wird sich die Bedeutung der Küche mit der Digitalisierung denn nicht grundlegend wandeln?
An der Küche sehen wir, dass die Dinge, die wirklich wichtig sind, Bestand haben. Das Zuhause ist für mich dafür fast das beste Beispiel. Nahrung an sich ist für uns Menschen das eigentlich ursprünglichste Motiv. Darin unterscheiden wir uns gar nicht so sehr von den Tieren. Auch wir fragen uns: Wann komm ich zum Essen, wie komm ich zum Essen, was für ein Essen bekomme ich? Das ist lebensnotwendig, ist essentiell. Schon darum ist für mich die Küche ein Kernbereich des Wohnens und wird es auch bleiben.
Inwieweit wird sich die Rolle der Küche als Familienmittelpunkt angesichts des allgemeinen Trends zur Individualisierung verändern?
In meiner Vorstellung war die Küche immer das Bindeglied. Darum sage ich auch: Die Küche ist die Seele des Hauses. Zur Küche gehört für mich auch der Esstisch. Schon während des Studiums haben wir die besten Ideen, die besten Modelle am Küchentisch entwickelt. Dafür braucht man noch nicht einmal eine grosse Tafel – es reicht schon der einfachste, kleinste Küchentisch, um zu skizzieren oder ein Modell zu basteln. Am selben Tisch wird das Essen angerichtet, gespielt, Hausaufgaben gemacht. Für mich ist die Küche unmittelbar angedockt an diesen Tisch. Die Küche ist zentraler Ort und Angelpunkt des Wohnens und wird es auch bleiben.
Unterstützen neue Wohnformen wie das Mikro-Apartment, das ja auch der Degrowth-Idee entgegenzukommen scheint, nicht einen Lifestyle, der uns zu Mitgliedern einer weniger räumlich als medial verbundenen Interessengruppe macht?
Wir sind genug allein mit unseren intelligenten Kommunikationsmitteln. Der Mensch hat das Bedürfnis, sich auszutauschen, zu reden, menschlich zu sein. Wir sind keine Einzelgänger. Das ist wichtig. Auch wenn uns die Medien zurzeit sehr zu Individuen machen. Ich glaube, wir Menschen sind nicht gemacht, allein zu sein. Und meine Zukunftsküche wird das auch nicht unterstützen.
Was könnten die Menschen Ihrer Vorstellung nach „mitnehmen“, wenn sie auf der LivingKitchen durch Ihre Zukunftsküche gehen?
Ich würde ihnen sagen wollen: Es gibt keine Eile. Aber dafür gibt es Zeit.
Text: pd, Fotos, imm cologne