Im Olymp der Klassiker

Vitra versteht sich selbst nicht als Unternehmen, sondern als Projekt. Was ein bisschen nach der Welt der digitalen Bohème klingt, ist am Ende doch eine ganz handfeste Geschichte, die ihren Anfang nahm, als ein Basler Ladenbauer und seine Frau 1953 zum ersten Mal nach New York reisten. Fehlbaum hatte schnell verstanden, was modernes Möbeldesign ausmacht und ein exzellentes Gespür entwickelt, was sich eignet, in den Olymp der Designklassiker aufzusteigen.

Nirgendwo ist die Klassiker-Dichte höher: Ein Besuch im Schaudepot von Vitra ist wie das Eintauchen in eine Art dreidimensionales Who-is-Who der Designwelt. Foto: Vitra Design Museum, Mark Niedermann.
Nirgendwo ist die Klassiker-Dichte höher: Ein Besuch im Schaudepot von Vitra ist wie das Eintauchen in eine Art dreidimensionales Who-is-Who der Designwelt. Foto: Vitra Design Museum, Mark Niedermann.

Ein Blick aus dem Taxi soll es gewesen sein. Es war das Jahr 1953, das Taxi fuhr durch die Park Avenue in New York und der Fahrgast hiess Willi Fehlbaum. Der Schweizer Handwerker und seine Frau Erika reisten zum ersten Mal nach Übersee. Und was er sah, veränderte sein Leben: In einem Schaufenster des Möbelfabrikanten Herman Miller stand ein «Plywood Chair», entworfen von Charles und Ray Eames. Das Design und der Umgang mit Materialien beeindruckten den Schweizer Touristen derart, dass er alles daran setzte, diese Möbel in Europa herstellen und verkaufen zu können. Welch glücklicher Zufall, dass Herman Miller, der amerikanische Hersteller von Eames-Möbeln, genau zu dieser Zeit nach einem Lizenznehmer für die Produktion der Entwürfe in Europa suchte. Damit begann eine Geschichte, wie es sie wohl nur vor der Globalisierung geben konnte: Bald besuchten Willi und Erika Fehlbaum das damals schon erfolgreiche Designerpaar Eames in ihrem Office in der Nähe von Los Angeles, und eine langjährige Freundschaft nahm ihren Anfang.

1957 konnte Fehlbaum schliesslich die ersten Eames-Möbel herstellen und in Europa verkaufen. Vitra produzierte schon bald viel mehr als die Entwürfe von Charles und Ray Eames. So sind die Namen George Nelson, Jean Prouvé, Verner Panton und Jasper Morrison nur einige, auf die die Familie Fehlbaum setzte. Fehlbaum hatte schnell verstanden, was modernes Möbeldesign ausmacht und ein exzellentes Gespür entwickelt, was sich eignet, in den Olymp der Klassiker aufzusteigen.

Vitra hat sich breit aufgestellt: Das Unternehmen produziert nicht nur Möbel zum Wohnen, sondern auch Büromöbel, Ladenausstattungen und Objekte für den öffentlichen Bereich. Nicht verwunderlich, war es doch ursprünglich ein Ladenbaugeschäft gewesen, das Willi Fehlbaum 1934 übernommen hatte. Eines hat sich seit den 1950er-Jahren bei Vitra nicht geändert: die unbedingte Hingabe an Produkte, die Menschen inspirieren, motivieren und emotional anrühren, genau wie es der «Plywood Chair» im Schaufenster getan hatte. Und – das muss man in Zeiten vielfältiger Nachahmung erwähnen – die aufgrund ihrer hochwertigen Materialien und kompromisslosen Umsetzung in Würde altern. Das lässt sich schon am wohl günstigsten Produkt im Sortiment ablesen, einem 30 Zentimeter langen Holzlineal, das dank der Übernahme des Unternehmens Artek vor einigen Jahren ebenfalls zum Portfolio von Vitra gehört. Doch bei Vitra wird man nicht müde zu betonen, dass die Produktion und der Verkauf von Designerstücken lediglich der wirtschaftliche Motor für etwas viel Grösseres sind: das Projekt Vitra.

Verstehen kann das am besten, wer den Vitra Design Campus in Weil am Rhein besucht. Denn dort lässt sich die Hingabe der Familie Fehlbaum – Gründer-Enkelin Nora Fehlbaum führt das Unternehmen mittlerweile in dritter Generation – an gute Gestaltung auf vielfältige Weise erleben: Jedes der Gebäude wurde von einem international renommierten Architekturbüro entwickelt, unter anderem von Herzog de Meuron oder Zaha Hadid. Auf dem Gelände finden sich nicht nur die Produktionsstätten, sondern auch das Vitra Design Museum mit einem Schaudepot. Hier kann jedermann in die Vitra-Welt eintauchen und verstehen, wie wichtig der Kontakt und die Zusammenarbeit mit den Autoren, wie man die Designer hier nennt, für Vitra schon immer war und sicher auch bleiben wird. Die Autoren, so sieht man es bei Vitra, bringen jeweils ihre ganz eigene Perspektive ein und besitzen ein feines Gespür für das Kommende. Jedes neue Produkt entsteht auf einer Beziehung, die von unbedingtem Vertrauen geprägt ist. Daran hat sich seit Willi Fehlbaums ersten Besuchen im Eames Office nichts geändert.

Es war Liebe auf den ersten Blick: Den Stuhl «Plywood» entdeckte der Schweizer Ladenbauer Willi Fehlbaum 1953 in einem New Yorker Schaufenster. Foto: Vitra.
Es war Liebe auf den ersten Blick: Den Stuhl «Plywood» entdeckte der Schweizer Ladenbauer Willi Fehlbaum 1953 in einem New Yorker Schaufenster. Foto: Vitra.
Die Designer und ihre Schweizer Freunde: Charles Eames, Erika & Willi Fehlbaum und Ray Eames. Foto: Courtesy and © 2005 Eames Office, LLC.
Die Designer und ihre Schweizer Freunde: Charles Eames, Erika & Willi Fehlbaum und Ray Eames. Foto: Courtesy and © 2005 Eames Office, LLC.

Text: Barbara Hallmann
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 12/18 - 01/19

Bezugsquelle:
Vitra International AG
vitra.com

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