Hätte Österreich einen Stuhl als nationales Wahrzeichen, dann wäre es wohl der Kaffeehausstuhl «Nr.14» von Michael Thonet. Dass sein Erfinder ein Einwanderer aus Nordrhein Westphalen war, ist dabei zweitrangig.
Robert Musil und Oskar Kokoschka waren Stammgäste im Café Museum. Friedensreich Hundertwasser hingegen bevorzugte das Café Hawelka und Gustav Klimt war hauptsächlich im Griensteidl anzutreffen. Die Kaffeehäuser Wiens sind seit jeher ein Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle. Auch wenn jeder von ihnen eine andere Lokalität bevorzugte, so hatten sie bei ihren Besuchen doch eines gemein: Sie alle sassen auf Stühlen von Michael Thonet, während sie ihren Kaffee tranken. Der Kunst- und Bautischler hatte 1819 sein erstes Unternehmen in Rheinland-Pfalz gegründet, mit welchem er später nach Wien übersiedelte. Dort stellte er Stühle aus Buchenholz her. Nichts Besonderes könnte man meinem, aber im Falle Thonets lag die Sache anders. Denn dem Deutschen gelang es, mithilfe eines speziellen Verfahrens, das Holz zu biegen, was ihm die industrielle Fertigung ermöglichte. Und weil sie nicht nur bezahlbar und stabil waren, sondern auch optisch auf der Höhe der Zeit, kauften die Kaffeehausbesitzer sie für ihre gut frequentierten Etablissements. Um 1890 waren die Bugholzstühle der Gebrüder Thonet aus der Wiener Gastronomie bereits nicht mehr wegzudenken. Zu Beginn des Jahres 1929 berichtete der Architekt Ferdinand Kramer in einem Firmenportrait von einer täglichen Durchschnittsproduktion von 18000 Stück. Die Stühle sind heute, 200 Jahre nach der Gründung des Familienunternehmens, längst zum Klassiker avanciert. Auch deshalb sitzen die Gäste im Hawelka, im Griensteidl oder im Café Museum sitzen nach wie vor auf Stühlen der Gebrüder Thonet – wie einst Musil, Kokoschka oder Klimt.
Text: Kirsten Höttermann
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 06•07/2019