Alles schon mal dagewesen, sagt der Tscheche Maxim Velcovský. Deshalb klaut, kopiert und verfremdet er, was das Zeug hält. Und macht die Vergangenheit fit für die Zukunft.
Wenn Maxim Velcovský von seiner Kindheit im kommunistischen Prag erzählt, weiss man als Westeuropäerin nicht so genau, ob er jetzt übertreibt. Oder ob er tatsächlich als Zehnjähriger mit aufgesetzter Gasmaske die Nationalhymne singen musste und mit elf sein erstes Maschinengewehr zusammensetzte. Er habe eine schöne totalitäre Kindheit gehabt, erzählt er und meint es irgendwie auch so («Das Fussballspielen macht auch zwischen kommunistischen Slogans Spass»). Trotzdem hat ihn die Zeit des Kalten Krieges tief geprägt.
Aufgewachsen ist Velcovský im Künstlermilieu. Sein Vater ist der Maler und Illustrator Josef Velcovský. Er nahm die beiden Söhne oft an Vernissagen mit. «Ich liebte diese Treffen», erinnert sich Maxim. Ihn faszinierten die verschiedenen Stile der anderen Maler. Und die Ateliers der Künstler boten meist mehr Platz zum Herumrennen als ihre kleine Wohnung, wo die Buben im Wohnzimmer schliefen und die Eltern in der Küche. Als der Eiserne Vorhang 1989 fällt, ist Maxim 13 Jahre alt. Anstatt «Sowjetunion für immer» prangte jetzt plötzlich «Always Coca-Cola» von den Häuserfassaden.
Den Moment festhalten
Vor der Öffnung waren Künstler die einzigen gewesen, die nicht in die Fabrik mussten, wenn sie arbeitslos waren. Nur schon deshalb wählt der Teenager Maxim das musische Gymnasium. Dort beginnt er zu lernen, mit Keramik umzugehen. Ganze elf Jahre lang, im Alter von 15 bis 26, beschäftigt er sich mit dem Material, zuletzt an der Prager Akademie für Kunst, Architektur und Design. Warum Keramik? «Es ist eine super Kombination von Malen, Zeichnen, Design und Skulptur, und es war das Schwierigste.» Nach seinem Abschluss stellen er und sein Freund Jakub Berdych ihre Designs einer Keramikmanufaktur vor – und blitzen ab. Es überrascht den jungen Velcovský nicht wirklich. Schon in seiner Abschlussarbeit hat er der Keramikindustrie vorgeworfen, sie sei nicht an innovativem Design interessiert, sondern nur am Geld von billigen Produkten für den russischen und deutschen Markt. Die beiden überzeugten dann die Mitarbeiter in der Produktion und schleusten ihre Designs durch die Hintertür ein. Als sich die Halle mit Velcovský Keramikvasen in Form von Gummistiefeln zu füllen begann, mussten sie Farbe bekennen. Sie gründeten das Designstudio Qubus und eröffneten mit ihm 2002 einen der ersten Designshops in Prag.
Wir sitzen uns fast zwanzig Jahre später via Computerbildschirme gegenüber. Hinter Velcovský spektakulärem Lockenkopf – die rebellischen Haare hat er von seinem Urgrossvater geerbt – reihen sich bis unter die Decke die Modelle. Er sitzt in Prag im Büro von Lasvit, dem Designkollektiv, zu dem er vor zehn Jahren wechselte. Lasvit verschreibt sich seit 2007 der Schönheit von Licht und Glas und hat mitgeholfen, die kränkelnde Glasindustrie Tschechiens wiederzubeleben. Morbide Leuchten in Knochenform, witzige Zuckerstreuer und spektakuläre Glasinstallationen tragen die Handschrift von Velcovský. Als künstlerischer Leiter von Lasvit holt der 44-Jährige zudem die Designer an Bord. Über 60 sind es mittlerweile, darunter grosse Namen aus aller Welt wie Zaha Hadid, Daniel Libeskind oder der im letzten Februar verstorbene Alessandro Mendini. Seine Neuentdeckungen machen ihn aber genauso stolz, Shootingstars wie die jungen Tschechen Lukás Novák oder Cyril Dundera. Die Designerinnen von Lasvit arbeiten mit den besten Kunsthandwerkern des Landes zusammen. Auf den Videos des Studios kann den Glasbläsern dabei zugesehen werden, wie sie mit Schweissperlen auf der Stirn das zähflüssige, rot glühende Glas formen, bis es fest wird. «Es geht immer um das Festhalten des richtigen Moments», sagt Velcovský.
Maxim Velcovský
über: Lasvit
170 00 Prag 7, Tschechien
Lesen Sie im Magazin RAUM UND WOHNEN, wie Maxim Velcovský Dinge verändert und verfremdet, die er im Supermarkt, im
Internet oder beim Antiquitätenhändler findet und sie damit aus der Vergangenheit in die Gegenwart holt. Die Ausgabe 10/20 lässt sich hier online bestellen.
Text: Erika Jüsi
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 10/2020