«It takes time»

Ein Journalist schrieb einmal, was David Mottershead nicht über Farben und Tapeten wisse, müsse man auch nicht wissen. Und das, was der Geschäftsführer von Little Greene alles weiss, lässt sich schwerlich auf eine Seite pressen. Ein Gespräch über Tapeten, Farben, Kultur, Landleben, Zeit – und wie diese Dinge miteinander verbunden sind.

David Mottershead ist Farbenexperte und führt das Farben- und Tapetenunternehmen Little Greene mit Erfolg.
David Mottershead ist Farbenexperte und führt das Farben- und Tapetenunternehmen Little Greene mit Erfolg.
Tapete namens «Great Ormond Street».
Tapete namens «Great Ormond Street».

Die Ursprünge von Little Greene reichen zurück bis ins frühe 18. Jahrhundert. Tapeten produziert Ihr Unternehmen aber erst seit 2004. Jedes Dessin basiert auf einem Originalmuster. Warum suchen Sie in Archiven oder englischen Herrenhäusern nach passenden Dessins?
David Mottershead: Manchmal investieren wir viel Zeit, um scheinbar neue Muster und Dessins zu kreieren. Dabei vergessen wir gern, dass auch diese Dessins ihre Vorbilder haben und oft gar nicht so neu sind, wie sie scheinen. Little Greene bezieht sich direkt auf Originale aus früheren Jahrhunderten – hier liegen unsere kulturellen Wurzeln. Und damit meine ich nicht nur die Ursprünge der englischen Kultur. Tapeten gab es früher ausschliesslich in den besten Häusern, und die Familien dieser Häuser besuchten sich untereinander. Es herrschte ein reger Austausch über die europäischen Landesgrenzen hinweg – auch im Interieur-Bereich. Wir kennen diese alten Muster und fühlen uns heimisch damit.

Ist dieser historische Aspekt auch für Ihre Kundschaft von Bedeutung?
Viele Wohnhäuser – in Grossbritannien sicher 50 Prozent – sind älter als 100 Jahre. Und viele der BewohnerInnen wollen die Geschichte ihrer Häuser, die ja auch ihre eigene ist, verstehen. Ein Weg ist, sie entsprechend auszustatten. Natürlich wollen die meisten nicht unbedingt das originale Design oder die ursprünglichen Farben. Das wäre auch sehr teuer, denn nur noch wenige Hersteller drucken die alten Muster in Handarbeit. Deshalb haben wir uns für eine zeitgemässe Interpretation entschieden, deren Preis sich natürlich auch viel mehr Menschen leisten können.
Wir drucken die Dessins in unterschiedlichen Farben und stimmen diese auf unsere Wandfarben ab – die ja auch wieder historische Referenzen haben. Die KundInnen fragten mich immer, können Sie nicht eine Tapete fertigen, die genau zu dieser Wandfarbe passt? Und genau das machen wir.

Wo finden Sie die historischen Vorbilder? Gibt es ein Archiv, welches Sie nutzen dürfen?
Wir begeben uns an den unterschiedlichsten Plätzen regelrecht auf Schatzsuche. Wir arbeiten zum Beispiel mit dem National Trust zusammen, der denkmalgeschützte Häuser in ganz Grossbritanien betreut. Wir besuchen diese Anwesen regelmässig und schauen uns dort nach Farbtönen und Tapetenresten um. Manchmal finden wir ein wundervolles Stück, von dem niemand auch nur eine Ahnung hatte, in einem Küchenschrank oder dahinter. Der National Trust hat natürlich auch ein Archiv, aber in diesem sind nur die grossen, wichtigen Räume verzeichnet. Was wir entdecken, sind manchmal wirklich nur kleine Stücke; kein ganzes Dessin, nur die Idee davon. Aber wir erkennen seine Schönheit und kreieren eine zeitgemässe Tapete daraus.

In den letzten Jahren haben viele Menschen der Stadt den Rücken gekehrt und sind aufs Land gezogen. Ist mit dieser Renaissance des Landhauses auch die Nachfrage nach Tapeten gestiegen?
Noch mehr als die Nachfrage nach Farben! Ich denke, das hängt tatsächlich miteinander zusammen. Sehr viele LondonerInnen haben die Stadt verlassen, um auf dem Land zu leben und zu arbeiten. Dabei haben sie eine ganz neue Seite an sich entdeckt, eine Seite, die es vielleicht liebt, zu gärtnern – oder eben sich traut, das Heim mit einer Tapete zu dekorieren. Es hängt auch damit zusammen, dass die Menschen plötzlich mehr Zeit hatten, sich mit ihrem Leben und Wohnraum zu beschäftigen. Für Tapeten braucht es eine gewisse Zeit. Es ist schwierig, die richtige auszuwählen – schwieriger als eine passende Wandfarbe. Man muss viel genauer überlegen, wo und wie man sie einsetzen will.

Gibt es Tapetenmuster oder -farben, die im Moment sehr gefragt sind?
Kräftiges Grün und Blau sind zur Zeit sehr beliebt – als Wandfarbe wie auch bei den Tapeten. Generell sind seit der Pandemie viel intensivere Farbtöne gefragt.

Gibt es eine Tapete, die Ihnen besonders am Herzen liegt?
Die gibt es tatsächlich. Ich wohne in einem Arts and Crafts-Haus, in dem nicht eine Wand einfach in Weiss gestrichen ist. Den Eingangsbereich, er ist nur etwa 1.5x1.5 Meter gross, kleidet eine Tapete namens «Great Ormond Street» (im Bild). Sie ist eine unserer ersten Dessins, in tropischen Farben, sehr frisch, die liebe ich einfach und erfreue mich immer noch jeden Tag an ihr, wenn ich das Haus verlasse oder betrete.

LITTLE GREENE

Interview: Kirsten Höttermann
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 09•10/22

Artikel teilen

Datenschutzhinweis

Diese Webseite nutzt externe Komponenten, welche dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln.

Notwendige Cookies werden immer geladen