Mit offenen Augen

Sie selbst nennt sich – in Anlehnung an ihre Heimatregion – Franche-Conteuse. Übersetzen könnte man das zum Beispiel mit «Erzählerin wahrhafter Geschichten». Und das passt gut, denn die meisten Designs der Französin Elise Fouin zeigen uns eine Welt, die es tatsächlich gibt – die aber hinter den Kulissen von Werbung und Marketing liegt. Es ist die Welt der verkannten Materialien, deren Schönheit die Designs von Elise Fouin augenfällig machen.

Eine französische Manufaktur, die ungewebte Seide herstellt, inspirierte Elise Fouin zur Leuchtenserie «Nébulis». Diese Serie entstand aus einem einzigartigen Zusammentreffen natürlicher Prozesse mit Handwerkskunst und Innovation – Elemente, die der Designerin allesamt am Herzen liegen. Foto: Francis Amiand.
Eine französische Manufaktur, die ungewebte Seide herstellt, inspirierte Elise Fouin zur Leuchtenserie «Nébulis». Diese Serie entstand aus einem einzigartigen Zusammentreffen natürlicher Prozesse mit Handwerkskunst und Innovation – Elemente, die der Designerin allesamt am Herzen liegen. Foto: Francis Amiand.

Das Paradies ist 54 Meter lang: Hinter dem grossen Tor an der Rue Boulanger, im zehnten Arrondissement von Paris, liegt eine schmale gepflasterte Gasse, rechts davon ein Ateliergebäude, links ein historisches Wohnhaus. Überall ranken Pflanzen. Einstmals lag hier eine Wäscherei, sie war ungenutzt – zumindest teilweise, denn bereits 1978 hatte ein Grafiker in der Gasse ein Atelier eröffnet und es bis heute behalten. Vor rund zehn Jahren kaufte die Stadt Paris die ehemalige Werkhalle und liess sie zu zwölf Ateliers umbauen. Seit 2019 werden sie zu einem sehr akzeptablen Preis an KunsthandwerkerInnen und verwandte Berufe vermietet. Diese sollen so im Stadtzentrum gehalten werden. Auch Elise Fouin sagt, ohne einen der begehrten Atelierplätze hätte sie ins Umland ziehen müssen. Direkt von der Gasse aus gelangt man durch eine verglaste graue Metalltür in ihren Arbeitsraum im Erdgeschoss. Sie ist die einzige Designerin vor Ort und schätzt die Gemeinschaft, die hier entstanden ist. Regelmässig arbeitet sie mit den anderen Kreativen zusammen, unter anderem einer Teppichknüpferin, einem Grafiker und einem Goldschmied. «Die Gemeinschaft hier ist wie ein funktionierendes Ökosystem – wir ergänzen uns sehr gut. Und sind durch das Setting, obwohl wir unabhängig sind, auch kein bisschen einsam.» Tatsächlich nennt sich Elise Fouin selbst eine «ganz kleine Struktur», sie arbeitet mit lediglich einer Assistentin und will auch nicht wachsen. «Ich möchte die Dinge selbst in der Hand haben», sagte sie. Zu einer grossen Agentur zu werden, kommt für sie nicht infrage: «Dann würde ich vermutlich nur noch organisieren und das ist nicht, was ich gerne möchte.»

Das «Machen» und «die Hand auf dem Material haben» hat sie von klein auf beobachtet und verinnerlicht. Aufgewachsen ist Elise Fouin auf dem Land in der Franche-Comté, nur gut 70 Kilometer von der Grenze zur Schweiz. Ihre Eltern lebten auf einem Bauernhof, der einstmals ein Kloster war, vier Kilometer vom nächsten Weiler entfernt. Es war ein Aufwachsen in Unabhängigkeit mit all seinen Vor- und Nachteilen: «Als Bauern waren meine Grosseltern und mein Vater im Alltag darauf angewiesen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Auf einem Bauernhof geht ja ständig etwas kaputt.» Wiederverwenden und Reparieren passierte zuerst aus Notwendigkeit – es galt täglich, praktikable Lösungen für alle möglichen Herausforderungen zu entwickeln. «Man konnte nicht erst 50 Kilometer bis in die nächste Stadt fahren und Ersatz kaufen oder einen Handwerker kommen lassen.» Aus der ganz praktischen Notwendigkeit, die Dinge wieder und wieder zu nutzen und herzurichten, wurde für die Familie eine Passion mit entsprechend ausgestatteter Werkstatt. Dort durfte auch die heranwachsende Elise nach Herzenslust ihre Ideen umsetzen, auch und besonders mit dem, was vor Ort zu finden war. «Ich hab seit jeher viel Zeit damit verbracht, selber Dinge herzustellen. Das hat mich einfach interessiert.»

Doch trotz des abgelegenen Wohnorts gelang es den Eltern, die Tochter künstlerisch zu fördern – unter anderem bekam sie im 30 Kilometer entfernten Vesoul Zeichen-, Tanz- und Musikunterricht. Nach der Schule wurde sie an der Ecole Boulle in Paris angenommen; einer Schule mit starker Orientierung aufs Kunsthandwerk. Elise Fouin entschied sich für eine Ausbildung zur Goldschmiedin, studierte nach dem Abschluss aber weiter – und zwar das Fach Möbeldesign. Anschliessend ging sie ins Studio der «Grande Dame» des französischen Designs Andrée Putman – ohne Frage auch eine Inspiration für Elise Fouin, gehörte Putman doch zu den ersten Designerinnen in Frankreich mit eigenem Studio. Später arbeitete Elise Fouin noch für die Luxus-Kaufhauskette Galeries Lafayette, gestaltete dort unter anderem Verkaufsräume mit. Und baute sich damit ihr ganz eigenes Netzwerk aus KundInnen, LieferantInnen, EntscheiderInnen auf: «Ich kannte anfangs in Paris ja kaum jemanden aus der Branche», erinnert sie sich. «Ohne diese Erfahrung hätte ich es nicht gewagt, ein eigenes Studio zu gründen.»

Eigene Wege

2008 schliesslich machte sie wahr, wonach ihr schon lange der Sinn stand: «Ich wollte wieder so arbeiten, dass die ursprüngliche Idee näher am fertigen Produkt ist», erinnert sie sich. Glücklicherweise konnte sie Projekte für Galeries Lafayette als freie Designerin weiterführen; ausserdem hatte sie schon seit ihrem Studienabschluss Designobjekte für Galerien gestaltet. Gleichzeitig bemerkte die Presse schon recht bald ihre Kreationen: «Ich hatte für diese Zeit einen recht ungewöhnlichen Ansatz, weil ich schon immer nachhaltig gedacht habe. Auch, wenn das damals nicht gerade in Mode war.»

Tatsächlich hatte Elise Fouin schon in ihrer Abschlussarbeit an der Ecole Boulle mit Materialien gearbeitet, die andere weggeworfen hätten: Sie experimentierte mit Papierabfällen, komprimierte und verformte sie und schuf damit neue Objekte. Und das zu einer Zeit, als Papier im Produktdesign höchstens für billige Lampenschirme oder als Kartonhocker zum Einsatz kam. Eine Zeit, in der – nicht nur in Frankreich – Stahl und Glas in Mode waren. Abschätzig urteilte damals ein Mitglied der Diplomjury an der Ecole Boulle, dass die Kandidatin sich ja bei ihrem Projekt für ein ziemlich billiges, von Armut zeugendes Material entschieden habe. Heute belächelt es niemand mehr, wenn Elise Fouin mit dem arbeitet, was andere wegwerfen würden.

ELISE FOUIN DESIGN STUDIO

Für die französische Stiftung «La Source» gestaltete Elise Fouin einen Stuhl von Artek um – mit Produktionsabfällen aus der Teppichmanufaktur Jules Pansu. Die Versteigerung des Einzelstücks im Herbst 2022 erbrachte mehr als 2000 Euro für benachteiligte Kinder und Jugendliche.
Für die französische Stiftung «La Source» gestaltete Elise Fouin einen Stuhl von Artek um – mit Produktionsabfällen aus der Teppichmanufaktur Jules Pansu. Die Versteigerung des Einzelstücks im Herbst 2022 erbrachte mehr als 2000 Euro für benachteiligte Kinder und Jugendliche.
Für die französische Marke Forestier gestaltete Louise Fouin die Leuchtenserie «Papillon». Dafür besann sie sich auf die Wurzeln des französischen Unternehmens, die Herstellung von Leuchtenschirmen, interpretierte diese neu und schuf so eine Ikone. Foto: Forestier.
Für die französische Marke Forestier gestaltete Louise Fouin die Leuchtenserie «Papillon». Dafür besann sie sich auf die Wurzeln des französischen Unternehmens, die Herstellung von Leuchtenschirmen, interpretierte diese neu und schuf so eine Ikone. Foto: Forestier.
Des einen Reste werden des anderen Sammlerstück: Elise Fouin erdachte aus Abfällen aus der Stecknadelproduktion der Traditionsmanufaktur Bohin in der Normandie eine Vasenserie – ihr Beitrag zur Eröffnung einer Kunstgalerie in Paris. So schlägt die Designerin quasi im Handumdrehen eine Brücke zwischen handwerklicher Tradition in der Provinz und kunstaffinem Leben in den Metropolen.
Des einen Reste werden des anderen Sammlerstück: Elise Fouin erdachte aus Abfällen aus der Stecknadelproduktion der Traditionsmanufaktur Bohin in der Normandie eine Vasenserie – ihr Beitrag zur Eröffnung einer Kunstgalerie in Paris. So schlägt die Designerin quasi im Handumdrehen eine Brücke zwischen handwerklicher Tradition in der Provinz und kunstaffinem Leben in den Metropolen.
Nach einem Blätterteiggebäck benannte die Desig-nerin dieses Bettkonzept, denn einzelnen Schichten der Matratze lassen sich austauschen. Das spart Material, wenn die Matratze – aus welchem Grund auch immer – keine ganz entspannten Nächte mehr garantiert. «Millefeuille»  wird dank eines Klicksystems ganz klein verpackt transportiert; das spart Platz und damit Energie.
Nach einem Blätterteiggebäck benannte die Desig-nerin dieses Bettkonzept, denn einzelnen Schichten der Matratze lassen sich austauschen. Das spart Material, wenn die Matratze – aus welchem Grund auch immer – keine ganz entspannten Nächte mehr garantiert. «Millefeuille» wird dank eines Klicksystems ganz klein verpackt transportiert; das spart Platz und damit Energie.

Das komplette Portrait ist im Magazin RAUM UND WOHNEN zu lesen. Die Ausgabe 03•04/23 lässt sich online bestellen.

Text: Barbara Hallmann
aus: Raum und Wohnen, Heft Nr. 03•04/23

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