Was die Schweiz aus und mit einem machen kann? Nun, darauf gibt es sicher so viele Antworten wie Menschen, denen man diese Frage stellt. Der kosmopolitische Designer Sacha Walckhoff – zugleich Creative Director bei Christian Lacroix – antwortet so: Seine Schulzeit in Lausanne und ein sehr engagierter Kunstlehrer gaben ihm solide Flügel, mit denen er selbstsicher die Weltder guten Gestaltung erobern konnte.
Herr Walckhoff, Sie sind in Frankreich geboren, aber in Lausanne aufgewachsen. Wie kam das?
Sacha Walckhoff, Designer und Creative Director: Ich habe französische, russische, afrikanische und Schweizer Wurzeln. Als ich ein Jahr alt war, hat meine Mutter einen Deutschschweizer geheiratet und wir sind nach Lausanne gezogen. Dort habe ich bis zur Matura gewohnt. Mit 19 bin ich zum Designstudium nach Barcelona gegangen, weil mich Katalonien seit jeher fasziniert hat. Wir hatten dort viele Sommer verbracht. Vor zwei Jahren habe ich mir selbst in der Gegend ein Haus gekauft, dessen Anfänge bis ins 18. Jahrhundert zurück reichen. Die Katalonen sind auch sowas wie die Schweizer Spaniens: sehr arbeitsam, pünktlich und präzise. Aber neue Kontakte zu knüpfen ist schon etwas einfacher.
Sie haben in Interviews bisher nur wenig über die Schweiz gesprochen. Wie bedeutsam war das Aufwachsen hier für Ihr Leben und Ihre Karriere?
Die Schweiz hat mich sehr geprägt. Das ganze Umfeld bewirkt einen gut strukturierten und fokussierten Arbeitsstil. Aber ganz besonders wichtig war meine Freundschaft mit dem Grafiker Pierre Keller: Er war zum einen ein Freund meiner Mutter, zusätzlich war er mein Kunstlehrer am Gymnase du Bugnon. Dort unterrichtete er – bevor er Direktor der ECAL wurde – in Teilzeit. Er hat mir die Augen für diese Welt geöffnet und den Weg für meine künstlerische Entwicklung geebnet. Pierre Keller war einfach unglaublich! Man mag sich das denken: Er hat berühmte KünstlerInnen an unsere Schule geholt, nach Lausanne! Das ist zwar eine hübsche Stadt, aber nicht grad eine hippe Metropole.
Wen haben Sie damals kennen gelernt?
Zum Beispiel war David Bowie einen ganzen Tag lang da, einen Tag Christo und einen Tag Keith Haring. Wenn man 18 Jahre alt ist und so eine Persönlichkeit einen Tag lang ganz nah erlebt, dann kann das einen enormen Effekt haben. Als junger Mensch glaubt man dann, dass im Leben für einen selbst einfach alles möglich ist – seinen eigenen Weg machen, berühmte Leute kennen lernen, es gut haben. Und es hat sich für mich ja auch erfüllt – ich bin nach der Schule nach Barcelona gegangen, später nach Paris und habe ein wunderbares Leben.
Wie liefen diese Tage ab?
Da war zum Beispiel die Begegnung mit Keith Haring. Er hatte damals gerade mit Vivienne Westwood die Kollektion «Worlds End» gemacht und zeigte Fotos und erzählte davon. Anschliessend ist er mit uns in die Mensa zum Mittagessen gegangen und wir durften ihn alles fragen. Irgendwann meinte er zu mir: «Hey, wenn Du willst, dann zeichne ich Dir was auf Deine gelbe Regenjacke!» Und ich habe geantwortet: «Nein, lieber nicht, das wird meine Mutter ganz und gar nicht gut finden.»
Als irgendwann Lacroix bei Ihnen anfragte, haben Sie dann aber nicht Nein gesagt ...
Das war nach dem Designstudium in Barcelona auch eher ein Zufall. Die erste Zeit habe ich für Marken wie Michel Klein oder Dorothée Bis gearbeitet. Dort entwarfen wir «total looks», Strickkleidung in nur einem Farbton. Die Modelinien von Christian Lacroix kannte ich von den Modenschauen und fand sie viel zu extravagant. Das zieht doch kein Mensch an, dachte ich damals. Irgendwann rief man mich an, ob ich für ein Gespräch vorbeikommen wolle. Und nach vielen Runden lernte ich Christian Lacroix persönlich kennen und verstand mich sofort perfekt mit ihm.
Aber gestalterisch waren Sie doch wahnsinnig weit von der Opulenz von Lacroix entfernt...
Wir haben nicht über Design gesprochen, sondern über alles Mögliche, zum Beispiel übers Reisen oder über Spanien und so weiter. Was genau da passiert ist, kann ich bis heute nicht erklären. Von heute auf morgen war ich Teil dieses herzlichen Teams, das wie eine Familie ist. Mit der Zeit habe ich gelernt, weniger minimalistisch zu arbeiten. Aber dieses Verrückte, Originelle ist eben nur eine Seite von mir. Die andere gestaltet reduzierter, klarer. Ich habe zum Beispiel unter meinem eigenen Namen eine Glasserie für die tschechische Marke Verreum gemacht. Sie ist ganz leicht und einfach.
Kommt da der Schweizer in Ihnen wieder hervor?
Meine etwas calvinistisch-schweizerische Ausbildung hilft mir schon extrem. Zum Beispiel, wenn es um wohlüberlegte Entscheidungen geht. Nehmen wir nochmals Lacroix: Wir machen teilweise schon verrückte Kollektionen, aber sie haben eine leicht verständliche Struktur und sind leicht zu kombinieren. Unsere aktuelle Kollektion Stravaganza macht da vielleicht eine Ausnahme, weil sie eine Art Festakt anlässlich meines Jubiläums «30 Jahre Lacroix» ist. Und das ist ja auch ein Grund zum Feiern, weil es mir dank Lacroix gelungen ist, meine Persönlichkeit als Gestalter extrem zu entwickeln.
Zu diesem Wandel gehört auch, dass Sie von der Mode zu den Wohnaccessoires gewechselt sind. Sie waren es, der die Wohnaccessoire-Linie für Lacroix initiierte. Was mögen Sie an Wohntextilien, Geschirr und Teppichen?
Die Lebensdauer der Designs ist so viel länger – wenn man Glück hat, ein Leben lang. Und man hat für die Kollektion auch viel mehr Zeit. In der Mode gibt es mittlerweile mindestens fünf Kollektionen im Jahr. Im Wohnbereich eher eine, und man nimmt sich schon mal zwei, drei Jahre Zeit für ein Projekt. Ganz ehrlich: Alles andere mag und kann ich nicht. Ich finde es unmöglich. Und es ist ja auch in keiner Weise nachhaltig und generationengerecht… Exakt. Wenn ich unter meinem eigenen Namen arbeite, dann stelle ich mir jeweils sehr stark die Frage, ob es so ein Objekt wirklich noch nicht gibt. Oder ob die Art, wie wir es herstellen, wirklich interessant ist, so dass es seine Existenz rechtfertigt. Die Dinge, die ich gestalte, sind relativ teuer, es braucht also einen gewissen Aufwand, sie zu erwerben. Aber die Hürde, sie wegzuwerfen, ist damit auch eindeutig höher. Wenn man sich so etwas kauft, dann soll man es lange behalten können. Und da kommen wir zu meiner Kindheit zurück: Ich habe immer schon darauf geachtet, lieber weniger zu kaufen, aber von besserer Qualität. Das sollte man den Kindern in der Schule wieder mehr beibringen, dann hätten wir viel weniger Problemen. Aber ganz ehrlich: Ich sehe mich nicht alleine die ganze Welt verändern. Wir sind alle erwachsen und jeder ist in der Lage, etwas für den Planeten zu tun.
SACHA WALCKHOFF
Text: Barbara Hallmann
aus dem Magazin: Raum und Wohnen, Zeitschrift Nr. 05•06/23