Konservendosen, Zettel und Gummihandschuhe – gibt es ungewöhnlichere Arten der Beleuchtung? Allerdings! Ein Blick auf die spektakuläre Lichtinstallation Ingo Maurers während der Mailänder Designwoche, die mit Licht, Farbe und Reflexionen überraschte.
Mailand. 25 Grad, die Sonne strahlte, der Himmel war in tiefes Kobaltblau getaucht. Kein Wölkchen trübte die malerische Kulisse während der ersten Tage des Fuorisalone, der zusammen mit dem Salone del Mobile die Mailänder Designwoche definiert und die gesamte Innenstadt in eine pulsierende Designszene verwandelt. Stattdessen Glitzern und Funkeln und – ein fliegender Teppich? Es war keine Sinnestäuschung, die die sommerlichen Temperaturen hervorriefen. Es war tatsächlich ein fliegender Teppich, der in der Porta Nuova schwebte, einem Torbogen aus dem 19. Jahrhundert, der einst Teil der Mailänder Stadtmauer war und heute, flankiert von zwei kleinen Gebäuden, auf einer eigenen Verkehrsinsel steht. Der Boden unter dem Bauwerk verwandelte sich in einen gut 30 Meter langen Teppich in auffälligen fluoreszierenden Farben. Darüber schwebte in bis zu fünf Metern Höhe eine Art lebendige Fläche aus reflektierendem Material, das wie grosse Sonnensegel von Stahlseilen getragen wurde. Die Segel nahmen die Farben und das Licht der Umgebung auf und reflektierten sie. Für die BesucherInnen entstand so der Eindruck, dass nicht nur der Boden, sondern auch die Decke über ihnen in Farbe gehüllt war, ein Effekt, den der Blick durch eine Multispektral-Brille noch verstärkte. Die zusätzliche Bewegung der Segel durch thermische Einflüsse erzeugte eine besondere Atmosphäre, die den Raum um das denkmalgeschützte Gebäude in ein spektakuläres Szenario verwandelte und die Dynamik zwischen Architektur und Licht erlebbar machte. Und das sowohl bei Tageslicht als auch bei Dunkelheit, wenn die Kunstlichtinstallation illuminiert wurde. Die gesamte Präsentation war der Wirkung des Lichts und dem Thema der Reflexionen gewidmet. Im wörtlichen Sinne ging es um das Sichtbare - Farben, Helligkeiten, Spiegelungen. Gleichzeitig ging es aber auch um Reflexionen im übertragenen Sinne: «Was ist Ingo Maurer, wer waren wir, wer werden wir sein? Mit diesen Fragen hat sich das Team gerade in den letzten Jahren nach dem Tod des Firmengründers 2019 intensiv auseinandergesetzt. So auch Axel Schmid, der als Designer seit 1998 für das Münchner Unternehmen hochwertige Leuchten entwirft und gemeinsam mit Ingo Maurer zahlreiche Installationen und Kunstprojekte auf der ganzen Welt realisiert hat.
Heute ist Axel Schmid Head of Product and Project Design und zeichnete
auch für die aussergewöhnliche Installation in Mailand verantwortlich.
Sie verblüffte, weckte die Neugier der BetrachterInnen und spiegelte
damit die Philosophie des Unternehmens wider. «Es gibt zwar nicht den
einen Stil, der die Marke repräsentiert», erklärt Axel Schmid. «Aber wir
verfolgen immer ein Ziel: Wir wollen überraschen. Ohne Kompromisse.»
Vielfalt ist ein wichtiger Aspekt der Kollektion, den der Designer
verstärken möchte, denn gerade jetzt, ein Jahr nach der Übernahme durch
den italienischen Leuchtenhersteller Foscarini, sind viele Augen auf die
Münchner Leuchtenmanufaktur gerichtet. Die abwechslungsreiche Arbeit
ist dann auch genau das, was Axel Schmid und seine langjährigen
KollegInnen auch nach vielen Jahren noch begeistert. «Wir entwerfen
nicht nur, wir entwickeln und produzieren auch. Mal steht am Anfang
eines Projekts eine konkrete Produktidee, mal ein Material oder eine
neue Technik. Ausserdem arbeiten wir in einem Grossraumbüro. eJder sieht, was der andere gerade macht und hinterfragt offen. Das bringt viel Austausch und Bewegung in den Prozess.» Kreativität und Fantasie sind zwei der Grundeigenschaften, die es braucht, um spielerisch zwischen traditionellen Lichtkonzepten und experimentellen, innovativen Inszenierungen zu wechseln und die Vielfalt des Portfolios zu erhalten. Ingo Maurer selbst war dafür der beste Beweis: Kein Alltagsgegenstand schien vor ihm sicher. In seinen Arbeiten zeigte sich sein humorvoller Blick auf die Welt und die Ästhetik des Banalen. «Mit Licht kann man wunderbare Träume schaffen – und Illusionen. Und die Übersetzung von etwas Gewöhnlichem in eine Illusion interessiert mich sehr», erklärte er einmal. Auf geflügelte Glühbirnen, Zettel und Gummihandschuhe, die er in Lichtobjekte verwandelte, folgten – nicht weniger kreativ und überraschend – Mikadostäbe und Seile. Auch die neuen Leuchten «Pic-a-stic» und «Signature» wurden im Rahmen der Stadtlichtinstallation präsentiert. Sie waren neben bekannten Leuchtenklassikern in den sieben Räumen der angrenzenden Neben-gebäude ausgestellt und verzauberten die BesucherInnen einmal mehr mit der Magie des Lichts, der Axel Schmid und sein Team schon lange verfallen sind.
INGO MAURER
Text: Silja Cammarata, Fotos: Giuliano Koren/Ingo Maurer
aus dem Magazin: Raum und Wohnen, Zeitschrift Nr. 06•07/23